Offener Brief an Bundesministerin Susanne Raab Feminismus braucht Förderung! Antwort zur Förderabsage(n)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin MMag.a Dr.in Susanne Raab, Österreichs unrühmliche Vorreiterstellung in der europaweiten Statistik der Femizide bedeutet eine äußerste Zuspitzung patriarchaler Gewalt in unserem Land. Wir sind ein feministischer Literaturverein mit dem Ziel, Frauen zu stärken und wundern uns wie viele andere Frauen unterstützende Organisationen/Medien über Förderabsagen seitens des Bundesministeriums für Frauen, Familien, Integration und Medien. Ihre Entscheidung, die budgetäre Schwerpunktsetzung im Bereich Frauenprojektförderung auf die „Aufrechterhaltung des Gewaltschutzes“, sowie ein „ganzheitliches und kostenloses Beratungs- und Begleitangebot für Frauen und Mädchen in schwierigen Lebenssituationen“ zu legen, deckt zwar eine wichtige Aufgabe ab. Wir vermissen jedoch Ihr strukturelles Verständnis von Gewalt und was Gewaltschutz in einer patriarchal geprägten Gesellschaft wie der unseren bedeutet. Dem für Frauen und gesamtgesellschaftlich unerträglichen Zustand muss mit Grundlegendem begegnet werden. Es ist Zeit, in der Frauenpolitik etwas zu ändern. Dieses gesamtgesellschaftliche Problem muss grundlegend gedacht werden. Das Patriarchat ist zwar von vorgestern, aber es hat schon Jahrtausende seine Wirkung getan. Es ist zu spät erst dort anzusetzen, wo vulnerablen Personen, worunter Frauen leider fallen bereits Gewalt angetan wurde. Effektiver Gewaltschutz erfordert Prävention und Prävention bedeutet: den Bedingungen von Gewalt auf den Grund zu gehen – der Ungleichverteilung von Macht – und daraus zu handeln. Nur mit dieser feministischen Haltung können in unseren Augen diese Strukturen überwunden werden. Es geht uns darum, dass Sie verstehen, Frau Ministerin: Das Vorhandene ist nicht neutral, vielmehr werden medial permanent unrealistische Frauenbilder und frauenfeindliche Inhalte (re)produziert. Wenn Sie diese Gewalt hervorbringenden Strukturen durch Untätig-Bleiben stützen, ist das reine Bereitstellen von Beratungsangeboten für die Opfer dieser Gewalt nahezu zynisch und bei weitem nicht ausreichend. Jede Untätigkeit ist ein Befürworten dieses für Frauen oft todbringenden Zustandes. Die psycho-physische Gewalt, welche Frauen in Österreich erfahren, beginnt wo Personen keine Stimme „haben“. Die Frage, wer darf sprechen, wessen Geschichte wird erzählt und wer wird dadurch überhaupt „wahr“genommen und wie, ist eine Machtfrage. Sprache ist also ein machtvolles Instrument. „Weibliche” Perspektiven, wie immer sie auch aussehen, werden permanent medial unsicht- und unhörbar gemacht. Dieses Verdrängt-Werden aus dem Bewusstsein Aller (auch aus dem eigenen) ist (strukturelle) Gewalt und bedeutet höchste Gefahr für Frauen. Zum Beispiel, wenn Femizide – wie so häufig in Medien – als „Beziehungsdramen“ bezeichnet werden. Das normalisiert männliche Gewalt, schont die Täter und verhindert Empathie mit Frauen. Mit der Konsequenz, dass die Verantwortung für Gewalt noch immer eher bei den Opfern statt den Tätern gesucht wird. Viel zu häufig mit tödlichen Folgen. Aber: Die Bedingungen für Empathie können (auch) hergestellt werden, weibliche Perspektiven können sicht- und hörbar gemacht werden – mit feministischen Narrativen. In Form von Literatur zum Beispiel. Eine Geschichte erzählt mir, was ich sein und werden kann in der Welt. Literatur hat die einzigartige Fähigkeit verdrängte Geschichten zu erzählen, neue Vorstellungen von (Frauen)leben zu erschaffen und die Nähe zu erzeugen, die Emphathie erfordert. Es gilt über unsere eigene Perspektive hinausblicken und zu versuchen zu verstehen, was jemand anderes erlebt, fühlt und denkt. Zu häufig wird einer Literatur der Vorrang gegeben, die immer die gleiche (patriarchale) Geschichte erzählt. Zu häufig wird die Sprache – gesellschaftlich geprägt – unreflektiert übernommen. Eine solche Literatur kann nicht über das Vorhandene hinausweisen. Es gilt den Blick zu weiten auf etwas, was noch nicht ist, jedoch sein könnte. Zum Beispiel eine Gesellschaft, in der eine Frau nicht um ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit bangen muss, wenn sie sich von ihrem Partner trennt, weil dieser Eifersucht und Besitzanspruch mit vermeintlicher Liebe legitimiert. Eine Gesellschaft, in der Frauen andere Lebensentwürfe umsetzen können und glücklich sind, statt marginalisiert zu werden. Eine Gesellschaft, die sich nicht ausschließlich an der patriarchalen Norm ausrichtet. Was wir hierfür brauchen, sind feministische Narrative in allen Lebensbereichen, und genau an dieser Stelle kommt feministischer Literatur eine tragende Rolle zu. Eine Gesellschaft, die männliche Gewalt hervorbringt, kann nicht von heute auf morgen umgekrempelt werden. Aber jede Anstrengung ist notwendig, um weitere Gewalt an Frauen zu verhindern. Und das fängt mit einer Sprache an, welche die Lebensrealitäten und -möglichkeiten von Frauen fokussiert und reflektiert, einer feministischen Sprache, einem Narrativ der Gleichberechtigung. Beratungsstellen alleine werden es wohl nicht richten. Wir brauchen feministische Erzählungen in Kinderbüchern, in der Schulliteratur, in Zeitungen, in Buchhandlungen und – Bücher schreiben sich ja nicht von selbst – auf Preisverleihungen und in der Kulturförderung. Literatur ist intensive Gesellschaftsarbeit und jene, welche uns all die unterschiedlichen Geschichten liefern, müssen auch davon leben. Wir als IG Feministische Autorinnen, möchten hierzu unseren Beitrag leisten und das Bundesministerium für Frauen, Familien, Integration und Medien sollte ebenso seine Verantwortung wahrnehmen, wenn ihm eine gewaltfreie Gesellschaft wahrhaftig am Herzen liegt. Deshalb, Frau Ministerin, verschließen Sie nicht die Augen vor den Problemen und gehen Sie den Schritt in die Prävention! Kommen Sie ihrer Auffassung von Frauenpolitik als „Querschnittmaterie“ nach. Setzen Sie sich mit feministisch kompetenten Organisationen an einen Tisch und unterstützen Sie Einrichtungen, die sich um ein feministisches Narrativ bemühen.

Mit freundlichen Grüßen
Gerlinde Hacker
Dorothea Pointner
≠igfem IG feministische Autorinnen