Feministischer Lesekreis 2022

06.12.2022: Das Ereignis, Anni Ernaux

Etwas erlebt zu haben, egal, was es ist, verleiht einem das unveräußerliche Recht, darüber zu schreiben. Es gibt keine minderwertige Wahrheit. Wenn ich diese Erfahrung nicht im Detail erzähle, trage ich dazu bei, die Lebenswirklichkeit von Frauen zu verschleiern, und mache mich zur Komplizin der männlichen Herrschaft über die Welt.

Am 6. Dezember traf sich unser feministischer online-Lesekreis zum letzten Mal in diesem Jahr. Im Zentrum der Diskussion: »Das Ereignis« der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, welche im Rahmen einer autobiographischen Erzählung ihr eigenes Leben und davon ausgehend die gesellschaftlichen (Macht-)Strukturen im Frankreich der 60er Jahre, insbesondere männliche Herrschaftsansprüche über den weiblichen Körper, analysiert. Eine Thematik die mit dem polnischen Abtreibungsgesetz oder dem Kippen von Roe v. Wade so aktuell ist wie je zuvor!

02.11.2022: Girl, Woman, Other, Bernardine Evaristo

What matters most to me, is that I know how I feel, and the rest of the world might catch up one day, even if it’ll be a quiet revolution over longer than my lifetime, if it happens at all.

Am 2. November fand unser feministischer Lesekreis zu Bernardine Evaristos »Girl, Woman, Other« statt. Dieser multiperspektivische Roman gibt anhand von 12 spannenden, vielschichtigen und vor allem nachvollziehbaren Charakteren 12 verschiedene Antworten auf die Frage, was es heißt eine Frau bzw. nicht-binäre Person in einer patriarchalen Gesellschaft zu sein. Er hat uns einmal mehr gezeigt, dass Literatur die einzigartige Fähigkeit besitzt, verdrängte Geschichten zu erzählen und wie wichtig ein feministisches Narrativ darin ist!

05.10.2022: Nevermore, Cécile Wajsbrot

Time Passes, To the Lighthouse, in diesem Buch ist ebenso viel von Licht die Rede wie von Zeit. Und was für ein schönes Wort, lighthouse, das französische Wort phare ist auch schön, aber man hört das Licht nicht darin, wenngleich man sich den Lichtstrahl vorstellt. Das deutsche Wort »Leuchtturm«, der leuchtende Turm, ist dem englischen Wort näher, auch wenn das »Leucht« gedämpft scheint im Vergleich zu »Licht« oder zu dem strahlenden Klang des englischen Wortes light, und ein Bild heraufbeschwört, das weniger sharp ist und clear.

Am 5. Oktober traf sich unser feministischer online-Lesekreis, um gemeinsam über Cécile Wajsbrots Roman »Nevermore« zu diskutieren. Neben der translationalen Poetik, die im Zwischenraum der Sprachen, der sich in der Übersetzung von oder besser (in der sprachlich-tastenden Annährung an) Virginia Woolfs »To the Lighthouse« öffnet, wurde erörtert, inwiefern die die eigene Sprache in der Übersetzung zu einem Fremdort wird, an dem ein Gefühl des zu Hause seins nicht mehr möglich ist. Hierin sehen wir auch die feministische Dimension des Textes: die Übersetzung ermöglicht ein Lösen von patriarchalen Sprach- und den ihnen inhärenten Gewaltstrukturen. Fazit: Eine Lektüre, deren einzigartige Sprachmelodie noch lange nachwirkt!

September 2022: Die Tochter, Kim Hey-Jin

Juni 2022: Frauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, Nicole Seifert

Mai 2022: Ich bin Circe, Madeline Miller

April 2022: Gesang der Fledermäuse, Olga Tokarczuk