Offene Briefe

Hier veröffentlichen wir unsere Korrespondenz, nach und nach.

Antwort von Mag. (FH) Judith Haunold auf: Betreff: „Gierig auf den Galgen“ von F. Klenk

Antwort von Mag. (FH) Judith Haunold auf: Betreff: „Gierig auf den Galgen“ von F. Klenk, Falter 37/23
“Mit Enttäuschung habe ich den Essay von Florian Klenk zum Fall Teichmeister gelesen. Ausführlich widmet sich Herr Klenk den Protesten, skizziert die Lynchjustiz, prangert den digitalen Vigilantismus an und wundert sich tatsächlich, dass Frauen zu so drastischen Maßnahmen greifen. Dabei hätte ein Blick in die Statistik genügt, um von der Irritation zur Erkenntnis zu gelangen.
Im Bericht „Zahlen und Fakten zu sexueller Gewalt gegen Frauen“ mit Stand März 2021 der Frauenberatungsstellen steht Folgendes: „8,8 % der Frauen, die eine Vergewaltigung erlebten, erstatten Anzeige“ (Seite 5). „Die höchste Verurteilungsquote findet sich im Jahr 1995 mit 25,3%. Seither ist dieser Wert im Sinken. 2019 wurden nur 10,34% der Täter nach einer Anzeige auch verurteilt“ (Seite 6). Anschaulich dargestellt werden die niedrigen Verurteilungsraten auch im Bericht „Sexuelle Gewalt an Frauen: einige Zahlen“ vom Bund Autonome Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt Österreich (https://wwww.sexuellegewalt.at/informieren/zahlen-fakten/) auf Seite 5. 2019 waren von 912 Anzeigen nur 98 erfolgreich. Angesichts dieser Realität sollte ein schwindendes Vertrauen in die Justiz niemanden mehr wundern. Zudem ist das Strafausmaß bei Delikten gerade Kindern gegenüber lächerlich gering. Ein Opfer von sexueller Gewalt und Missbrauch leidet lebenslänglich an den Folgen. Warum sollten Täter also nicht auch lebenslänglich für ihre Taten büßen?
Nur mit einer Aussage hat Herr Klenk recht: Der Staat ist gefordert. Das Strafrecht schützt die Täter (im Zweifel für den Angeklagten) und lässt die Opfer im Stich. Die Justiz folgt diesem Irrtum des Patriarchats. Herr Klenk sollte sich mit den Ursachen des Zorns auseinandersetzen, statt das streng formalisierte System hochzuloben und in dieser Sache von Fairness zu sprechen. Bei dieser niedrigen Verurteilungsrate ist das Wort Fairness garantiert nicht angebracht.” Mag. (FH) Judith Haunold

Offener Brief an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien

Sehr geehrte Frau Bundesministerin MMag. Dr. Susanne Raab, anlässlich des Equal Pension Day 2023 am 4. August müssen wir einmal mehr auf die eklatante Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft hinweisen. An diesem Tag haben Männer im laufenden Jahr bereits so viel Pension erhalten, wie Frauen für das ganze Jahr zugestanden wird. Im Vergleich zu 2022 bedeutet der Equal Pension Day 2023 eine Verbesserung um einen (!) Tag. In diesem Tempo werden bei gleichbleibendem Pensionsalter erst jene Frauen die gleiche Pensionshöhe erhalten, die in rund 80 Jahren geboren werden! Der folgende Hinweis stammt aus dem Informationsblatt des Bundesministeriums zum Equal Pension Day: “Es [das Gender Pension Gap [sic!]] ist kein Maß für Wohlstand (bzw. Armut) oder Diskriminierung, sondern Gradmesser von persönlicher ökonomischer Autonomie durch die Pensionsleistung”. Unter den herrschenden Bedingungen ist persönliche ökonomische Autonomie für Frauen unmöglich zu erreichen. Und wirtschaftliche Abhängigkeiten resultieren in Diskriminierung! Die Durchrechnungszeiträume für die Pension sind an einem Männer-Erwerbsleben ausgerichtet. Frauen arbeiten aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten und dem noch immer bestehenden Gender Pay Gap viel häufiger in Teilzeit, womit sie ohnehin schon die Mehrheit der unbezahlten Care-Arbeit leisten, was einen bestehenden, zutiefst diskriminierenden Rollenzwang immer noch mehr verstärkt. Hinzu kommt, dass Berufe, in denen mehr Frauen tätig sind, auch schlechter bezahlt sind. Und dann sind Frauen auch noch in der Pension doppelt bestraft, da sie um etwa die Hälfte (!) weniger als Männer erhalten. In der Literaturbranche sieht es besonders ernst aus: Laut dem Rechnungshofbericht 2020 liegt der unbereinigte Gender Wage Gap im Bereich “Kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten” mit 49,6% sogar noch deutlich über dem Gesamtdurchschnitt von 36,4%. Die Maßnahmen, die von der Bundesregierung zur Verbesserung der Situation gesetzt wurden, beinhalten unter anderem die “Erhöhung des Pensionsalters für Frauen” – Frauen müssen also länger arbeiten, um nachher noch immer weniger zu bekommen. “Verbesserung bei freiwilliger Versicherung (insbesondere Pflege)” – Frauen, die also ausreichend Geld haben, um mehr einzuzahlen, bekommen nachher zwar mehr als andere, aber immer noch weniger als Männer. “Mit der Einführung der Pensionsboni bei 30 bzw. 40 Jahren von Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbsarbeit wurde insbesondere langzeitversicherten Frauen und Männern in Niedriglohnsektoren bzw. bei Teilzeitarbeit eine höhere Pension” [sic! Anm.: Hier bricht der Satz ab] – Diese Maßnahme geht an der Realität vorbei, nämlich dass die sogenannten “Niedriglohnsektoren” eben jene sind, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, also solche, in denen z.B. für Pflege Angehöriger oder behinderter Kinder (siehe Punkt “freiwillige Versicherung”) die Anstellungszeiten häufig unter- oder abgebrochen werden, also eine Langzeitversicherung gar nicht zustande kommt. Es profitieren einmal mehr die Männer, die lange Zeit im “Niedriglohnsektor” tätig sind, und die Frauen gehen leer aus. Wir können uns die maßlose Ungerechtigkeit der Situation nur so erklären, dass die Auswirkungen der Maßnahmen politisch gewollt sind. Es ist völlig unbegreiflich, warum die Regierung und die Sozialpartner der massiven Verschlechterung der Situation für Frauen zugestimmt haben. Es war schließlich absehbar, dass der Großteil der Frauen in ihrer Pension unter die Armutsgrenze fällt. Was in der gesamten Pensionsdebatte fehlt, ist ein feministisches Narrativ, das die Lebensrealitäten der Hälfte der Bevölkerung einkalkuliert. Es mangelt uns im 21. Jahrhundert doch tatsächlich noch immer an einer feministischen Agenda in Politik und Öffentlichkeit. Dabei ist Gleichberechtigung ein Menschenrecht! Wir fordern Sie daher auf, diese untragbare Situation aufzuheben und Frauen eine gleichberechtigte, an ihre Lebenssituation angepasste Teilhabe zu ermöglichen. Wir brauchen eine Pensionsreform, die ihren Namen verdient! Und wir, die IG feministische Autorinnen, brauchen Ihre (finanzielle) Unterstützung als feministische Organisation um Gleichberechtigung zu erreichen.

Mit freundlichen Grüßen
Gerlinde Hacker
Dorothea Pointner
≠igfem IG feministische Autorinnen

Sehr geehrte Frau Mag.a Staatssekretärin Mayer

Die ≠igfem kämpft seit mehr als vier Jahren professionell für finanzielle und repräsentative Geschlechtergerechtigkeit im Literaturbetrieb. Wir bieten bereits jetzt, mit wenigen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, ein umfangreiches Programm. Unsere vielfältigen Veranstaltungen und Initiativen umfassen Schreibgruppen mit 120 Terminen im Jahr, eine Theoriegruppe zur feministischen Sprach- und Literaturwissenschaft, Lesekreise zu feministischen Büchern, unterschiedlichste Vernetzungs- und Kooperationsgruppen, zwei EU-Projekte (das jüngste beinhaltet unter anderem Fördermittel für eine unabhängige Studie zu Arbeitsbedingungen und der generellen Lage von Autorinnen), Lesungen feministischer Autorinnen, diverse Workshops, Ausschreibungen, mehrere Publikationen, eine aktualisierte feministische Leseliste für SchülerInnen, ein Projekt zur Erforschung neuer digitaler Techniken und Entwicklungen und ihre Nutzung für und Auswirkungen auf den Literaturbetrieb, das MeToo-Monitoring zur Dokumentation von sexistischen Erfahrungen und Übergriffen im Literaturbetrieb, aktive Pressearbeit für gesellschaftliche Wahrnehmung zur Ungleichberechtigung sowie Schulungen und Austauschmöglichkeiten für Expertinnen im Literaturbetrieb. All diese Maßnahmen und Projekte zielen darauf ab, mehr Gleichberechtigung im Literaturbetrieb zu erzielen. Doch um noch mehr bewirken zu können – und vor allem die laufend geleistete Arbeit endlich fair zu entlohnen – benötigen wir dringend zusätzliche finanzielle Ressourcen. Trotz des generellen Problems fehlender Daten zur Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb, konnten wir aus dem Rechnungshofbericht von 2020 eine erschreckende Erkenntnis ziehen: Der unbereinigte Gender Wage Gap im Bereich “Kreative, künstlerische und unterhaltende Tätigkeiten” liegt mit 49,6% sogar noch deutlich über dem Gesamtdurchschnitt von 36,4%. Diese Zahlen zeigen einmal mehr die dringende Notwendigkeit für monetäre und inhaltliche Förderung von Frauen, insbesondere in der Literatur. Eine feministische Schwerpunktsetzung in der Budgetverteilung ist essentiell, um die Benachteiligungen auszuhebeln und für Gleichberechtigung zu sorgen. Der in naher Zukunft anstehende Gender Report des BMKÖS ist nur ein weiteres Beispiel des schwerfälligen Versuchs, der Lage Herr (vielmehr Frau) zu werden. Obwohl wir wertschätzen, dass wir auf Einladung des Bundesministeriums mit unserer Expertise in die Entwicklung der Fragebögen durch OGM research & communication GmbH eingebunden wurden und Feedback zum Testfragebogen geben durften, der die Grundlage der “große[n] Befragung der Kunst- und Kulturinstitutionen in ganz Österreich” werden soll, mussten wir feststellen, dass die Fragestellungen an den Herausforderungen und Hindernissen vorbeigingen, mit denen Frauen in der Kunst- und Literaturszene konfrontiert sind. Mit den gestellten Fragen können die Lebensrealitäten der Künstlerinnen und Autorinnen nicht abgebildet werden, es werden schlicht die falschen Fragen gestellt, um neue Antworten zu erhalten: Auf unbezahlte und unterbezahlte Arbeit von Frauen im Kulturbereich wurde überhaupt nicht eingegangen. Strukturen im Kunst- und Kulturbetrieb, die Arbeitszeiten außerhalb der klassischen Bürozeiten vorgeben, erfordern selbstverständlich auch andere Betreuungsmöglichkeiten. Themen wie Diskriminierungsprävention und speziell auf Frauen zugeschnittene Bildungsangebote wurden nicht angeschnitten. Es braucht für repräsentative Ergebnisse zu diesen Themen schlicht einen neuen Zugang zu den Fragestellungen. Unser Feedback wurde leider nur zur Kenntnis genommen und unseres Wissens nicht in den Fragebogen einbezogen. Wir dürfen in Anbetracht Ihrer Position davon ausgehen, dass Sie sich der nach wie vor herrschenden Ungleichheit bewusst und an einer Gleichberechtigung zwischen Künstlerinnen und Künstlern interessiert sind. Dem gewaltigen strukturellen Gefälle zwischen un- oder unterbezahlt arbeitenden, selbstorganisierten Künstlerinnenverbänden, wie unserem, und den zahlreichen und üppig geförderten Institutionen unter (überwiegend) männlicher Leitung, können Sie, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, entgegenwirken. Es ist an der Zeit, dass Autorinnen die gebührende Beachtung und Wertschätzung erfahren, die für ihre männlichen Kollegen selbstverständlich sind. Warum werden Künstlerinnen und Autorinnen nicht entsprechend gefördert? Wieso erhält die IG feministische Autorinnen im Vergleich zu alteingesessenen männlich geleiteten Institutionen um so viel weniger Förderungen? Weshalb erhalten Autorinnen und Künstlerinnen in Österreich nicht mehr Geltung und Würdigung? In inzwischen veralteten (2008 und 2012) Studien war die Benachteiligung von Literatinnen und Künstlerinnen bereits abzusehen. Bis heute wurde noch viel zu wenig getan, um strukturelle Förderungen von Literatinnen und Künstlerinnen zu finanzieren. Umso bitterer, dass nicht einmal die IG feministische Autorinnen ausreichend finanziell unterstützt wird! Um die inhaltliche Unterstützung voranzutreiben, mangelt es an dedizierten Räumen für Autorinnen und Schriftstellerinnen, die speziell für Vernetzung, Austausch, Diskussion und kreative Arbeit genutzt werden können. Zu diesem Zweck regen wir die Errichtung eines feministischen Literaturmuseums an, in dem die unzähligen fantastischen österreichischen (Bachmann! Jelinek! uvm.) und internationalen Autorinnen mit Ausstellungen und Veranstaltungen aus feministischem Blickwinkel gewürdigt werden (anders als herkömmliche Ausstellungen, in denen die männliche Perspektive der Ausstellungsmacher klar zutage tritt). In diesem Museum könnte auch die IG feministische Autorinnen mit einem Büro verankert sein und mit ausreichender Förderung ein noch umfangreicheres Programm sowie diverse Forschungsprojekte umsetzen. Darüber hinaus mangelt es an dezidierten Auftrittsmöglichkeiten, auch diese könnten in einem solchen Zentrum der feministischen Literatur mit einem Veranstaltungssaal mit Bühne geboten werden. Über diese Institution könnte dann auch eine umfassende Förderung von Rezensionen und Rezeption der Werke feministischer Autorinnen abgewickelt werden, um die Sichtbarkeit der ja in großer Vielfalt vorhandenen Literaturproduktion von Frauen zu erhöhen. Ein solches Zentrum könnte Österreich an die Spitze feministischer Literaturinitiativen stellen. Wir haben in Österreich unter Ihrer Leitung die einmalige Chance im Bereich der feministischen Literaturförderung eine Pionierinnenrolle einzunehmen und uns international im Kampf um Gleichstellung zu positionieren. Wir appellieren an Ihr Engagement für Gleichberechtigung und eine zukunftsweisende und nachhaltige Kulturpolitik: Lassen Sie diese Gelegenheit nicht verstreichen! Erkennen Sie die vorhandenen Ungerechtigkeiten an und wirken Sie ihnen entschieden entgegen. Wir alle werden mit einer vielfältigeren und reichhaltigeren Literaturszene belohnt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Gerlinde Hacker, Dorothea Pointner